Es ist mir manchmal selbst rätselhaft. Da bin ich 47 geworden und kann immer noch nicht genau sagen, wer ich eigentlich bin.
Ich kann das über die meisten meiner Freunde:
- Nicky, die nach Porto gezogen ist, dort Jakobswege plant und sich für alle engagiert
- Duc, der Informatiker und Kampfsporttrainer geworden ist
- Björn, der gerne Musik hört und macht, genauso wie Weltreisen, bei einer Bundesbehörde arbeitet und einfach superentspannt bei allem ist.
- Jan, die rheinische Frohnatur, der über sich lachen kann und einer zum Pferdestehlen ist.
Im Studium war es interessant, weil Mattes, der wie ich aus dem Emsland kommt, sich ein Stück weit darüber definierte. Ich selber überhaupt nicht, was vielleicht auch daran liegt, dass mich das Emsland nicht sonderlich mochte und ich eine Zeitlang auch das Emsland nicht. Jürgen, der Emsländer? Passt irgendwie nicht. Jürgen, der Fischkopf? Haut auch nicht hin, ich komme nicht von der Waterkant und spreche kein Platt. Jürgen, der Rheinländer? Zu wenig Frohnatur dafür. Jürgen, der Deutsche? In Zügen natürlich schon, aber dann auch weit weg vom Standarddeutschen mit Haus, Frau, Garten, zwei Kindern und Passat.
Vielleicht liegt es daran, dass ich mich auch lange über nichts definieren wollte. Über meine Herkunft nicht, meine Art und Weise nicht, bin halt eher der Grübler. Meine Hobbys nicht – ich hatte auch lange keine, außer vermeintlich uncoolen Sport wie Tischtennis (der dann irgendwann hip wurde und in New Yorker Underground-Clubs gespielt wurde). Über meine politische Ausrichtung nicht. Auch über meine Reisen eigentlich nicht. Immer nur Singapur, das war dann doch weit weg von einem Globetrotter. Am ehesten noch über meinen Job.
Ein Stück weit war es allerdings auch ein Sichverstecken. Ein sich irgendwie nicht zeigen Wollen aus Angst dafür angefeindet zu werden oder gegen den möglichen Spott nicht schlagfertig genug zu sein. Aber niemand sein zu wollen, weil die anderen einen dafür ablehnen könnten? Irgendwie doch traurig. Und welche anderen überhaupt? Und warum ablehnen?
In den letzten Jahren habe ich mich, würde sagen, der Welt etwas mehr geöffnet und zugewandt. Immer nur alleine in meinem stillen Kämmerlein hocken, das hatte nicht gerade glücklich gemacht.
Irgendwann meinte Alex, mein Kunde, im Videocall dann mal in einem Nebensatz: „Jürgen, du bist ja viel unterwegs. Mir kam da neulich mal die Idee…“
Ich war schon drauf und dran zu entgegnen: „So viel jetzt auch nicht“, aber dann dachte ich: Ach, weißte was? Sollen der Alex und die anderen doch ruhig denken, dass ich viel reise. Scheint ihnen zu gefallen. Und der eine oder andere guckt gerne meinen Status. Fotos mache ich ja auch sehr gerne, lieber noch als zu verreisen.
Irgendwann kam ich dann zum Ukulelespielen. Das machte mir Spaß und war simpel genug, dass selbst ungeduldige Menschen wie ich ein Instrument erlernen können. Auf der Weihnachtsfeier meiner Tischtennismannschaft erwähnte ich dann, dass ich ein paar Tage später über meinen Ukulele-Stammtisch im Kölner Dom sein würde und zusammen mit den Höhnern (und noch hunderten anderen Musikern, das muss der Vollständigkeit halber erwähnt werden) Weihnachtslieder singen und spielen.
Das klang nach ner Mordsgaudi und deswegen war ich begeistert. Die Jungs offenbar auch: „Du machst was?! Wann? Und kann man das dann irgendwo sehen?“ – „Ja, soll auf Bibel.tv live übertragen werden.“
Es endete damit, dass meine halbe Mannschaft an dem Tag zusah und Nico und Stefan sogar Screenshots aufnahmen, wenn ich kurz im Bild war. Seitdem bin ich für sie Jürgen, der Ukulelespieler.
Und ganz ehrlich, warum denn nicht? Was spricht gegen die eine oder andere Schublade? Dann bin ich halt für andere der Jürgen, der gerne reist, schreibt, Rad fährt, Fotos macht, Ukulele und Tischtennis spielt, viel grübelt und meist etwas links von der Mitte wählt. So what?
Ich glaube, den meisten meiner Freunde und Bekannten ist das nicht nur egal, sie mögen es. Und ich selbst? Lerne langsam auch mich mit diesem Typen anzufreunden. Hat lang genug gedauert, jemand zu sein. Wird aber auch langsam mal Zeit.
Und du? Wer bist du?
*
Anna Golden – Peace
Gilt als Worship und da bin ich immer vorsichtig, aber ist hier ein Hammersong, den meine Yogalehrerin auf ihre Liste gesetzt hat (ja, Yoga mache ich auch noch):